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Der Wolf und die achtzig Jahre

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Mahnende Erinnerung:Haben wir achtzig Jahre nach Auschwitz so wenig dazu gelernt? (©Kevin Krüger / pixelio.de)

Mahnende Erinnerung:Haben wir achtzig Jahre nach Auschwitz so wenig dazu gelernt? (©Kevin Krüger / pixelio.de)

Am vergangenen Sonntag liefen in Ludwigshafen am Rhein etwa 500 rechte Demonstranten, darunter Hooligans, Neonazis und andere üble Gesellen auf. Ihnen stellten sich 3000 Gegendemonstranten entgegen und riefen zum Fest der Kulturen, Ludwigshafen ist bunt nicht braun. Es gab Gepöbel, 1300 Polizisten waren im Einsatz, Ausschreitungen und Festnahmen, mitgebrachte Steine, eine lange Liste. Und ich frage mich, muss das sein?

Im Januar 2015 jährte sich zum achtzigsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die alliierten Streitkräfte. Hunderte Menschen hatten dort unschuldig ihr Leben gelassen, für einen Glauben, eine Kultur, eine vorgeworfene Andersartigkeit. Die letzten Zeitzeugen jener Tage sind alt geworden, die Enkelgeneration, meine Generation, kennt kaum noch authentische Berichte. Wir vergessen, nicht die Geschichte, die Zahlen und Fakten, aber die Geschichten, die Namen, die Tränen. Und wie wir uns noch immer schämen, dass unsere Groß- und Urgroßeltern diese Schrecken mit möglich gemacht haben, gilt meine Scham auch denen, die glauben, von den Schatten der Vergangenheit losgelöst zu sein.

Was steckt dahinter? Kaum ein Kritiker hat hinter den Schleier des Islam geblickt (©Ferdinand Lacour / pixelio.de)

Was steckt dahinter? Kaum ein Kritiker hat hinter den Schleier des Islam geblickt (©Ferdinand Lacour / pixelio.de)

Noch im Januar meinte eine Gruppe, unser Land müsse eine sogenannte Islamisierung fürchten. Tatsächlich ging es um ihre Furcht vor der Andersartigkeit, vor Neuem, der sie ein Gesicht geben wollten. Dass es „den Islam“ nicht gibt, weil die unterschiedlichen Glaubensrichtungen oft auseinandergehen, und viele ihren islamischen Glauben ebenso säkularisiert leben, wie auch viele Christen, wollte keiner hören. Dass ein Mensch nicht aufgrund seines Glaubens und seiner Kultur – beides im Übrigen Merkmale, in die jeder hineingeboren wird – verurteilt werden darf, wollte auch niemand wissen. Trauriger Weise hat sich wohl in den achtzig Jahren seit Auschwitz doch nicht so viel getan. Auch Parteien, die Menschen aus anderen Ländern von vorneherein verurteilen und eine Gefahr in der europäischen Einheit sehen, sind auf dem Vormarsch.

Mich erschreckt es immer wieder, wenn ich Leute sehe, die protestieren, dass unser Land bereit ist, anderen zu helfen. Solche, die Asylbewerber und Flüchtlinge, Menschen, die alles verloren haben und sich selbst neu finden müssen, beschimpfen und ihnen das mitleidige Dach über dem Kopf nicht gönnen würden wohl auch ihrem Nachbar die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn dessen Haus abgebrannt ist. Dass jeder die Verantwortung für die Menschheit mitträgt, ist bei ihnen noch nicht angekommen.

Angst vor dem Anderen - sie steckt in uns und führt zu Ausgrenzung (©Wilhelmine Wulff / pixelio.de)

Angst vor dem Anderen – sie steckt in uns und führt zu Ausgrenzung (©Wilhelmine Wulff / pixelio.de)

Die Wahrheit ist, jeder Mensch ist gerne ein Egoist und nur auf die eigenen Vorteile bedacht. Jeder hat Angst vor Neuem und anderen, denkt gerne in Schubladen, trifft Meinungen, ohne vorher zu wissen, worüber überhaupt. Das liegt leider in unserer Natur. Es kann uns schützen. Aber in der Form, in der wir es heute wieder erleben, in der Form, die vor über achtzig Jahren zum zweiten Weltkrieg und dem Holocaust geführt hat, in der Form, in der fast überall auf der Welt schon Völkermorde verübt wurden, führt es nur dazu, dass Menschen Menschen ausrotten. Getreu Hobbes „homo homini lupus est“ (der Mensch ist des Menschen Wolf). Doch der Philosoph meinte einen vorstaatlichen Naturzustand, eine Form, die wir eigentlich überschritten haben sollten. Erst recht achtzig Jahre nach Auschwitz.

Vorschau: Nächste Woche will Anna die Welt im Kleinen verändern mit sozialem Engagement.

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